12. Juni – Throwbackmonday mit Marie Antoinette

Es ist der 12. Juni 1778. Marie Antoinette kommt ihrer Verpflichtung nach, ihren monatlichen Geheimbrief an ihre Mutter, Maria Theresia, zu verfassen. Der Brief bildet sehr gut ihre höchst heikle Position am französischen Hof ab.

Als persönliches Pfandobjekt für die österreichischen Interessen in Versailles muss sie danach trachten, potentielle politische Intrigen, die schwerwiegende Konsequenzen für Österreich haben könnten, in Erfahrung zu bringen und ihren Gatten, den französischen König, im Sinne Österreichs zu beeinflussen. (Im vorliegenden Fall handelt es sich um geheime Unterhandlungen mit Friederich dem II., mit dem Ziel, Österreich in einen Krieg zu verwickeln.)

Des Weiteren ist sie, nach einer langen, angsterfüllten Wartezeit endlich dabei, ihre wichtigste Mission am französischen Hofe zu vollenden: dem König einen Thronfolger zu schenken. Die Erleichterung und die Freude über die Schwangerschaft (die erst nach 8 Jahren nicht vollzogener Ehe eintrat) ist riesengroß:

Portraits-Marie-Antoinette

Versailles, 12. Juni 1778

Madame meine geliebte Mutter!

Ich werde Ihnen niemals meine Dankbarkeit für alle Ihre Liebe und Güte zeigen können; aber ich fühle es wohl, daß mein Herz von Dankbarkeit erfüllt ist, da diese Güte und Liebe von einer unvergleichlichen Mutter kommt.

Meine teuere Mama wird vielleicht nicht ganz mit der Antwort zufrieden sein, die man Herrn von Goltz gegeben hat. Es ist jetzt an der Zeit zu sagen daß man von einem schlechten Zahler herausholt, was man kann, denn unsere Minister führen sich nicht sehr gut auf, und in dieser Lage habe ich nicht umhin gekonnt, darüber mit dem König zu sprechen. Hier ist nun der Bericht, und meine teuere Mama wird über mich urteilen. Man hat mir nicht nur nach getroffener Entscheidung, sondern nachdem man sie Mercy mitgeteilt hat, die Sache verschwiegen, und erst durch ihn bin ich davon informiert worden. Ich habe dem König den Kummer nicht verhehlen können, den mir sein Stillschweigen verursacht hat; ich habe ihm sogar gesagt, daß ich mich schäme, meiner teuren Mama die Art einzugestehen, in der er mich hinsichtlich einer für mich so bedeutenden Angelegenheit behandelte und über die ich mit ihm so oft gesprochen habe. Ich bin durch den Ton, den er annahm, entwaffnet worden. Er hat mir gesagt: „Sie sehen, daß ich so viele Fehler begangen habe, daß ich kein Wort finde, um Ihnen zu antworten.“ Tatsächlich war er wohl zu entschuldigen, denn während des ganzen Aufenthaltes in Marly ist er durch die Intrigen des Prinzen von Condé, der das Kommando über die Truppen haben wollte, gequält worden, und dann durch jene des Marschalls von Broglie, der sich für unentbehrlich hält und sich die Autorität des Königs anmaßen wollte, um nach seinem Blieben alle Offiziere, die unter ihm dienen werden, zu ernennen. Glücklicherweise sind alle ihre Bemühungen vereitelt worden und der König allein hat sich gut gehalten. Ich habe geglaubt, den König bitten zu müssen, mit seinen Ministern wegen der Unanständigkeit ihres Stillschweigens mir gegenüber zu sprechen: es scheint mir von Wichtigkeit, daß sie es sich nicht zur Gewohnheit machen.

Mercy verläßt mich eben: er hat mir die neuen Vorschläge des Königs von Preußen gezeigt. Sie erscheinen mir, obwohl er darin einige Worte geändert hat, ebenso absurd wie die anderen. Das bedeutet absolut, Sand in die Augen streuen wollen.

Ich befinde mich sehr wohl, und die Fahrt nach Marly, wo das schönste Wetter der Welt herrschte, hat mir sehr wohlgetan. Ich logiere unten: das gestattet mir, zu jeder Stunde des Tages Spaziergänge zu machen, insbesondere vormittags um neun oder zehn Uhr. Ich nehme sehr zu; ich habe den kindlichen Einfall gehabt, mich zu messen, und habe schon um viereinhalb Zoll zugenommen. Meine teuere Mama ist zu gütig, sich wegen dieses künftigen kleinen Kindes Sorgen machen zu wollen: ich will Ihnen versichern, daß ich darauf die größte Sorgfalt anwenden werde. Bei der Art, wie man sie gegenwärtig aufzieht, sind sie weniger eingezwängt; man wickelt sie nicht ein, sie sind immer in einer Hängewiege oder auf einem Arm, und vom Augenblick an, da sie an der Luft sein können, gewöhnt man sie allmählich daran, und sie bleiben dann fast immer an der Luft. Ich halte das für die gesündeste und beste Art, sie aufzuziehen. Mein Kind wird unten untergebracht werden, und ein kleines Gitter wird den Raum vom Rest der Terrasse absondern und es das Gehen sogar früher als auf dem Parkett erlernen lassen. Die Königin von Neapel hat mir wegen meiner Schwangerschaft geschrieben; in bin von ihrem Brief sehr gerührt gewesen; ich denke, ihr dieser Tage zu antworten. Gestatten Sie mir, meine teuere Mama, Sie zu küssen und Ihnen zu versichern, daß es unmöglich ist, Sie zärtlicher als ich zu lieben?

Marie Antoinette lebt seit 1770 am französischen Hof. Ihre Ehe bildet die Krönung der Heiratspolitik ihrer Mutter. In ihrer Person erfüllt sich der lang ersehnte Wunsch Maria Theresias, Frankreich als Bündnispartner zu gewinnen. Ein Heiratsprojekt stand schon einmal kurz vor der Verwirklichung: Der französische König Louis XV. sollte mit der überaus hübschen Marie Elisabeth vermählt werden. Als die Erzherzogin jedoch an den Pocken erkrankt, scheitert der Plan. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. 1769 ersucht Louis XV. wieder um die Hand einer Tochter Maria Theresias – diesmal jedoch nicht für sich, sondern für seinen Enkel, den Dauphin.

Das erst 14-jährige Mädchen wird schnell für die Heirat vorbereitet: ihre mangelhaften Französischkenntnisse aufpoliert und ihre etwas lückenhafte Bildung notdürftig ergänzt. Derartig ausgestattet macht sie sich auf den einsamen Weg nach Paris. Maria Theresia macht sich jedoch keine Illusionen ob der Eignung ihrer Tochter für die hohen und sehr heiklen Aufgaben. Denn Marie Antoinette ist viel zu lebhaft, impulsiv und zerstreut. Ausgestattet zwar mit einem natürlichen Charme, aber viel zu unerfahren, um mit der Etikette am fremden Hof, mit Intrigen und Versuchungen umzugehen. Die besorgte Mutter gibt ihr daher den treuen Graf Florimond Mercy d´Argenteau als Vertrauten, väterlichen Freund und Berater mit. Gleichzeitig soll er sie auch bespitzeln und über ihre Worte, Taten und Missetaten nach Wien berichten. Für diesen Zweck wird ein geheimer Briefwechsel eingerichtet: Maria Theresia schreibt 1-2x im Monat an ihre Tochter und an Mercy und diese antworten auch pünktlich. Gleichzeitig ist Mercy dabei, wenn Marie Antoinette die Briefe ihrer Mutter liest und berichtet brühwarm über deren Wirkung.

Maria-Theresia

Und die Briefe haben es in sich. Maria Theresia spart nicht mit Ratschlägen, Ermahnungen und Kritik – stets unter dem Motto „Sagen Sie nicht, daß ich schelte, daß ich predige, sondern sagen Sie die Mama liebt mich sehr und ist ständig um mich und um mein Wohlergehen besorgt.“ :

… weil ich fürchte, daß Sie, wie man im Deutschen sagt, auseinandergehen und schon die Taille wie eine Frau haben, ohne es zu sein. Ich bitte Sie, sich nicht gehen zu lassen und zu vernachlässigen. Das gehört sich nicht für Ihr Alter und noch weniger für Ihre Stellung.

 

…Wegen des Dauphins sage ich Ihnen nichts. Sie kennen meine Delikatesse in diesem Punkt: die Frau ist in allem ihrem Gatten gehorsam und soll kein anderes Bestreben haben, als ihm zu gefallen und seinen Willen zu erfüllen. Das einzige wirkliche Glück auf dieser Welt ist eine glückliche Ehe: ich kann es bezeugen. Alles hängt von der Frau ab, wenn sie nachgiebig, gut und amüsant ist.

Marie-Antoinette-Louis-XVI

… Man spricht auf von den Spielen, die Sie den letzten Winter veranstaltet haben. Lassen Sie sich nicht dazu verleiten, die anderen lächerlich machen zu wollen.

 

… Seit Monaten höre ich nichts über Ihre Lektüre und Ihre Beschäftigungen.

 

… Man sieht bei Ihrem Alter über genügend Leichtfertigkeiten und Kindereien hinweg, aber auf die Dauer wird alle Welt und auch Sie selbst dessen überdrüssig… insbesondere in einem Lande, in dem man so gebildet ist und den anderen Leuten, mögen sie noch so hochgestellt sein, nichts hingehen läßt. Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß man davon zu sprechen beginnt; auf diese Weise werden Sie nur die hohe Meinung, die man sich über Sie gebildet hat, verlieren: das ist der wesentliche Punkt für uns, die wir auf der Bühne der großen Welt stehen.

 

…weder Ihre Schönheit, die tatsächlich nicht so groß ist, noch Ihre Talente noch Ihre Kenntnisse (Sie wissen wohl, daß das alles nicht existiert) haben sie [nämlich die Zuneigung am Hof] Ihnen verschafft; es waren dies Ihre Herzensgüte, Ihre Offenheit und Aufmerksamkeit…

 

… Was Sie mir als Entschuldigung dafür anführen, das mir gegebene Wort, nicht zur Jagd zu reiten, nicht eingehalten zu haben, wäre in Ordnung gewesen, wenn Sie es mir vor einem Jahr oder vielleicht früher, das erste Mal, als Sie es getan haben, mitgeteilt hätten; Ihre Offenherzigkeit, Ihre Liebe hätten den kleinen Wortbruch verringert. Es kränkt mich aber, ich gestehe es, daß ich es aus den Zeitungen erfahren mußte, und das wirft für die Zukunft einen Schatten auf Ihr Vertrauen zu mir.

Marie Antoinette liest die Ermahnungen und macht, was jede etwas leichtfertige Tochter mit schlechtem Gewissen tun würde: In den wichtigsten Punkten gibt sie nach, bei geringeren Vergehen versucht sie wiederum, die Dinge zu verschweigen. Sie bedient sich kleineren und größeren Notlügen (stets aufgedeckt natürlich vom treuen Graf Mercy) und bedankt sich etwas scheinheilig für die Instruktionen.

Der letzte Brief der Mutter ist vom 3. November 1780. Maria Theresia stirbt am 29. November 1780.  Marie Antoinette ist am Boden zerstört. Denn selbst wenn die mütterlichen Ratschläge und Weisungen oft lästig für sie waren, sie bräuchte diese jetzt, inmitten der immer schärferen Kritik an den politischen Zuständen und ihrer leichtfertigen, genusssüchtigen Person, mehr denn je. Frankreich schlittert langsam Richtung Revolution – der Rest ist Geschichte.

 

Hinrichtung-Marie-Antoinette

Nicht umsonst stellt der Herausgeber den Briefen Marie Antoinettes, die ihrer aufoktroyierten Mission auf tragische Weise nicht gewachsenen war, folgendes Ovid-Zitat voran:

Video meliora proboque;

Deteriora sequor.

(Ich sehe das Bessere und heiße es gut, dem Schlechteren folge ich.)

Die Zitate entstammen folgender Ausgabe: Maria Theresia & Marie Antoinette; Der geheime Briefwechsel; Herausgegeben von Paul Christoph; Lambert Schneider, Darmstadt, 1980

Eine große Empfehlung an alle, die sich für Geschichte, oder aber für Mutter-Tochter Beziehungen interessieren.

Bücher-Marie-Antoinette

 

6 Gedanken zu “12. Juni – Throwbackmonday mit Marie Antoinette

  1. Ist ja prima, dass die Briefe mal jemand empfiehlt! Sie lohnen sich wirklich – aber ich fand sie teilweise auch schwer auszuhalten: Da sieht die kluge, politisch erfahrene Mutter die Katastrophe kommen, aber an Tochter Partynudel prallen die Warnungen ungehört ab …
    Danke für die Empfehlung!
    Es grüßt herzlich,
    die Bücherflocke

    Gefällt 2 Personen

    • Du hast Recht. Aber die kluge, politisch erfahrene Mutter hat es leider absolut verabsäumt, die Tochter rechtzeitig auf ihre neue Lebenssituation vorzubereiten. Wenn ein wenig gebildetes, vielzu impulsives 14-jähriges Mädchen plötzlich Dauphine und wenig später Königin von Frankreich wird, ist es nicht ganz überraschend, dass sie mit der neuen Situation, dem enormen Druck und den vielen neuen falschen Freunden nicht gut zurechtkommt…
      Liebe Grüße
      Andrea

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu Bücherflocke Antwort abbrechen