Villandry – Finesse & Grandezza im Würgegriff der Finanzen

A. in Wonderland – Part 1

Villandry gehört zu den beliebtesten Schlössern im Loiretal. Ohne die üblichen Wachsfigurenkabinette und son et lumièreSpektakel gelingt es dem eleganten Renaissancebau mit seinen umliegenden Gärten, jährlich über 350.000 Besucher in seinen Bann zu ziehen. Ich persönlich gehöre auch zu den bekennenden Fans.

Denn Villandry strahlt eine schlichte Eleganz aus, die ihresgleichen sucht und die Gartenanlagen bestechen nicht nur durch ihre Ästhetik, sondern auch durch die ihnen zu Grunde liegende Spiritualität und Ethik.

Gartenterrassen-Villandry

Diese Erfolgsgeschichte ist jedoch der Besitzerfamilie nicht in den Schoß gefallen. Als Robert Carvallo 1972 das bröckelnde Schloss mit dem verwilderten Garten von seinem Vater übernahm, wünschte er sich nichts lieber, als das Anwesen möglichst bald wieder loszuwerden. Leider war an dem geschichtsträchtigen aber schwer angeschlagenen Gut nicht einmal der französische Staat interessiert. So musste Carvallo seinen gut dotierten Bankiersjob in Paris aufgeben, um sich dem Familienerbe widmen zu können. Ein nachhaltiges Erhaltungs- Bewirtschaftungs- und Marketingkonzept wurde ausgearbeitet und voilà…

Aber wir wollen dem Happy End nicht vorgreifen. So viel sei aber gesagt: das Schicksal von Villandry war immer schon sehr eng mit dem schnöden Mammon verbunden.

Sein Erbauer, Jean le Breton, war einer, der etwas davon verstand: als Finanzminister von Franz I. war er es gewohnt, mit größeren Summen zu jonglieren. Bedeutende Bauvorhaben waren ihm auch nicht fremd: Im Auftrag der Krone leitete er die Arbeiten am Schloss Chambord. Nun wollte er aber eine Residenz für sich bauen. So erwarb er 1532 den Grund, auf dem heute Villandry steht. Er ließ den Vorgängerbau, die Festung Colombier, abreißen und errichtete ein Renaissanceschloss mit Gärten an ihrer Stelle.

Jean-Le-Breton-Villandry

Das Schloss besteht aus drei einfachen, hufeisenförmig angelegten Haupttrakten, deren Proportionen eine einzigartige Eleganz ausstrahlen. Betrachtet man das Gebäude, kann man nicht umhin, den trickreichen Baumeister für seine Kunstgriffe zu bewundern, die er diskret einsetzte, um den Anschein der Monotonie zu verscheuchen. Den Eindruck jener Eintönigkeit, die allzu leicht entsteht, wenn man die symmetrische Form zu wörtlich nimmt. Wie hat er es aber gemacht?

Die Fassaden spiegeln sich in den Gräben wider, die Winkel, die von den Hauptgebäuden gebildet werden, sind leicht spitz oder stumpf, die Flügel weisen nicht genau dieselbe Länge auf, die mittleren Fenster sind nicht genau in der Mitte des Gebäudes angeordnet, und auch das Schattenspiel ist genauestens berechnet.

Für einen würdevollen Auftritt hat der Architekt auch von allzu opulenter Deko Abstand genommen. Man findet keine kecken Souvenirs aus dem Mittelalter: weder Türmchen, noch Pyramidendächer oder Pechnasen lenken von der Formgebung ab, die sich somit ideal in die umliegende Natur einfügt.

Auch die Gartenanlagen erweisen sich als Vollendung italienischer Gestaltungskunst – nicht umsonst fungierte der Bauherr als Botschafter in Italien, bevor er den Posten des Finanzministers antrat.

Ob er besonders ehrlich war, oder sehr geschickt oder einfach nur viel Glück hatte, lässt sich nachträglich nicht feststellen. Tatsache ist, dass er es irgendwie schaffte, der größten Gefahr seiner Epoche zu entgehen: in Ungnade zu fallen. So wurde Villandry nicht beschlagnahmt, sondern blieb in Familienbesitz und nach le Bretons Tod konnten seine Nachkommen beinahe ein Viertel Jahrhundert lang das schöne Landleben hier genießen.

Mitte des 18. Jahrhunderts erwarb Marquis de Castellane Villandry und seine Güter. Er rüstete das Schloss mit allem Komfort, den die Epochen seit der Renaissance hergaben nach und brachte auch das Äußere des Schlosses auf state of the art:  klassizistische Elemente gehörten her, man durfte als finanzkräftiger Châtelain schließlich nicht altmodisch wirken!

Villandry-18 Jahrhundert-Loireschloss

Nach der Herrschaftszeit des Marquis ging es mit dem Schloss etwas konzeptloser zu: zahlreiche Besitzer kamen und entschwanden wieder. Kurz durfte sich sogar Jérôme de Bonaparte, der jüngere Bruder Napoleons, Schlossherr von Villandry nennen.

Doch dann brach das 20. Jahrhundert an und mit ihm ein vor Kulturbewusstsein sprühender Spanier, Dr. Joachim Carvallo.

Er verliebte sich nachgerade in Villandry und setzte es sich zur Lebensaufgabe, das Schloss und seine Gärten, dieses wertvolle Stück französischen Kulturgutes, nicht nur in seinem alten Glanz erstrahlen zu lassen, sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Carvallo gab für sein Lebenswerk, das Schloss Villandry, sogar seine vielversprechende wissenschaftliche Karriere auf. Vor seiner Denkmalschutz-Mission untersuchte er an der Seite von Professor Richet die Physiologie der Verdauung. Richet erhielt 7 Jahre später den Nobelpreis, doch da war Carvallo bereits mit Kalktuff, Schindeln und Pflanzen beschäftigt…

Joachim-Carvallo-Ann-Coleman-Villandry

Als Sohn aus wohlhabender Familie brachte er recht gute finanzielle Voraussetzungen mit sich, um die heroische Aufgabe „Villandry“ in Angriff zu nehmen. Entscheidend war jedoch, dass er dabei von seiner Frau, der reichen Amerikanerin Ann Coleman tatkräftig – und mit einem Riesenvermögen – unterstützt wurde. Trotzdem war nicht einmal das Vermögen von Ann Coleman ausreichend, um das Schloss in den so harten 20-er Jahren auf wirtschaftlich solide Beine zu stellen.

Die Arbeiten begannen 1906 mit nicht weniger als 100 Maurern! Carvallo, ein Kenner der italienischen Renaissance, enttarnte mit untrüglichem Blick– und Wissen – alle nach dem 16. Jahrhundert angebrachten Elemente auf der Fassade und ließ diese kurzerhand entfernen. In bloß einer Woche erstrahlte das vormals recht eklektische Schloss in neuer Grandezza.

Villandry-Joachim-Carvallo-Umbauten

Die klassizistischen Umbauten im Inneren fanden mehr Gnade vor den Augen des neuen Schlossherren – zumal diese erst einen komfortablen Lebensstil ermöglichten und den altehrwürdigen Bau erst  zu einer richtig bewohnbaren Behausung machten. Es wurde viel aus dieser Zeit erhalten: der Speisesaal mit Springbrunnen oder die elegante Treppe im Stile Ludwig XV.

Speisesaal-Und-Maurische-Decke-Villandry

Das Schloss war somit außen wieder schön und innen komfortabel. Zwar vergeht dieses Komfortgefühl ein wenig, wenn man die Gemäldesammlung Carvallos – spanische Künstler aus dem 17. Jahrhundert- betritt, aber dies liegt in erster Linie an der sehr pointierten Themenwahl der Maler, die eindeutig Richtung Düsteres geht.

Dafür erheitern wieder die charmant möblierten und dekorierten Zimmer. Diese stehen jeweils für eine unterschiedliche Epoche und bieten einen guten Einblick in die Innenraumgestaltung ihrer Zeit. Meinen persönlichen Höhepunkt bildet das Kinderzimmer mit offenem Kamin und einem gut sortierten Bücherschrank. Die Abfolge der Zimmer von recht alt, mit Fokus auf Pietät und religiöse Pflichterfüllung bis hin zum eben erwähnten Kinderzimmer, welches beinahe schon modern anmutet, ergibt eine überraschende Harmonie und man fühlt sich nicht überfordert, weil dem Schloss trotz großer Namen, die die Zimmer bewohnten, eine familiäre Atmosphäre innewohnt.

Innenräume-Villandry-Loiretal

Aus allen Räumen bietet sich ein immer wieder überraschender Blick auf den Park, der sich wie eine natürliche Fortsetzung der Innenräume entfaltet.

Und damit wären wir bei der Hauptattraktion von Villandry angelangt: der auf 6 ha angelegten, wunderschönen Parkanlage.

Ein kleines Tal mit einem Bach fällt von der Hochebene im Süden mit einem sanften Gefälle ab. Dies macht es möglich, vier Gartenebenen in Terrassenform zu pflegen.

Wasserlauf-Villandry-Loiretal-Schloss

Unter den Fenstern des Westflügels befindet sich DER Blockbuster: jener dekorative Gemüsegarten, den Carvallo nach langer archäologischer und literarischer Quellenforschung, gemäß dem authentischen Renaissance-Vorbild wiederaufleben ließ. Hier finden sich nicht nur Schönheit, Disziplin und Liebe zu den Pflanzen wieder, sondern auch die strenge Spiritualität des Mittelalters. Als großer Fan der Benediktiner- und Zisterzienser-Klöster ließ dies mein Herz sofort höherschlagen. Denn wieviel spannender ist eine dermaßen vergeistigte Gartenkunst, als die Wachspuppenkabinette à la Madame Tussauds, die so manch andere Schlösser an der Loire zu bieten haben?

Aber lassen wir die Gartenbroschüre sprechen:

Die Ursprünge des Gemüsegartens reichen bis ins Mittelalter zurück. Wie in den Buchmalereien zu erkennen ist, waren es die Mönche in ihren Klöstern, die das Gemüse, das ihnen zur Verfügung stand, nutzten, um Motive in den Boden zu zeichnen. Die Buchsbäume sind auch heute noch in Kreuzform angeordnet, um darauf hinzuweisen, dass dieser Garten auf die Gebräuche der Mönche zurückzuführen ist. Zur Auflockerung des Beetes setzt der Mönch hochstämmige Rosen ein. Die in symmetrischer Form angeordneten Rosen symbolisieren heute die Mönche, die ihre Gemüsebete umgraben.

Für Interessierte gäbe es noch ca. 20 Seiten mit ausführlichen Erklärungen, die ich hier jedoch den weniger Mittelalter-Mönch-Kreuzgang-Gemüse-Begeisterten ersparen werde.

Gemüsegarten_Villandry_Loiretal

So viel sei aber noch unbedingt gesagt: der Garten ist auch für Agnostiker eine ästhetische Freude sondergleichen!

Wir nehmen uns viel Zeit für die Erkundung der sehr fantasievollen Details. Die Bessere Hälfte bleibt alle 10 m stehen, fotografiert die Blumen- und Gemüsepracht und bombardiert meine Schwiegermama brühwarm via whatsapp mit gestalterischen Ideen für den kleinen Garten, den sie in der Steiermark jedes Jahr nach einem neuen Konzept anlegt. Dass ihr dabei nicht einmal ein Hundertstel der Fläche zur Verfügung steht, wird ebenso beflissentlich ignoriert, wie die nicht gerade winzigen klimatischen Unterschiede zwischen dem Mur- und dem Loiretal.

Die Minderjährige ruft wiederum an jedem Eckchen entzückt aus, wieviel Zeit wir dort mit beschaulicher Lektüre verbringen könnten. Rechne ich die imaginären Lesezeiten zusammen, so müssten wir zumindest für einige Wochen nach Villandry ziehen… Meine Tochter wird mir wohl immer ähnlicher!

Oberhalb des Gemüsegartens, auf der Höhe der Empfangsräume des Schlosses, liegen die Ziergärten. Diese wurden als Verlängerung der Salons konzipiert und bilden quasi einen verspielten Open-air-Empfangsbereich. Die Liebesgärten stellen sehr einfallsreich die „zarte Liebe“, die „leidenschaftliche Liebe“, die „unbeständige Liebe“ und die „tragische Liebe“ dar. Im Garten der Kreuze können Fachkundige das Malteserkreuz, das Kreuz des Languedoc und jenes des Baskenlandes erkennen. Im Garten der Musik erhielten die Buchsbäume wiederum die Form von Noten und Musikinstrumenten.

Ziergarten-Villandry-loire

Die unmittelbar darüber liegende Ebene ist klassisch inspiriert und um eine spiegelförmige Wasserfläche angeordnet. Diese wurde seinerzeit von dem Marquis de Castellane angelegt. Das elegante, aber schlichte Becken und die würdevollen Schwäne, die darüber gleiten, strahlen eine große Ruhe aus. Die angrenzenden, auffallend nüchternen Rasenflächen in Form von Kreuzgängen tragen zu einer beschaulichen, meditativen Stimmung bei – eine willkommene Erholung für das Auge nach so viel symbolträchtigem Blumenwirrwarr. Das Wasserbecken ist jedoch nicht nur hübsch, sondern spielt eine durchaus praktische Rolle: es beherbergt jene Wassermengen, welche für die Berieselung der gesamten Parkanlage sowie für die Speisung des Wassergrabens und der Springbrunnen notwendig sind.

Teich-Villandry-Loireschloss

Auf der obersten Ebene liegt der Sonnengarten, der modernste Parkabschnitt. Hier sind die Pflanzen in einer scheinbar wilden Unordnung angebracht, die zum Träumen einlädt. Der genaue Beobachter entdeckt jedoch auch hier das Organisationsprinzip Villandrys – den stilisierten Kreuzgang.

Sonnengarten-Villandry-Loire

In einem gut bestückten Renaissancepark darf es jedoch auch nicht an einem Heilpflanzengarten fehlen. Auch diesen findet der Besucher bald, nebst einem waschechten Irrgarten. Aber wer hätte mit diesem atemberaubend perfekten Rasenplatz gerechnet? Dieser geht mit Sicherheit nicht auf die hohe Zeit fleißiger Mönche zurück! Das Herz schlägt höher, auch jenseits mittelalterlicher Spiritualität.

Tennisplazt-Rasenplatz-Villandry

Gemäß dem Grundsatz „Ästhetik und Ethik“ wird in Villandry seit 2009 bio gewirtschaftet. 9 Gärtner und 2 Lehrlinge pflegen die Anlagen mit sichtlichem Stolz auf ihre Arbeit. Sie grüßen freundlich und bieten eine gerade heruntergefallene Birne an. Die Gemüseernte wird zwischen Belegschaft und Besitzer aufgeteilt. Die Überschüsse werden nicht verkauft, sondern den Besuchern überlassen, die das Glück haben, gerade zur Erntezeit vorbeizukommen. 200 Jahre Egalité und Fraternité sind wohl nicht spurlos an dieser Gegend vorbeigegangen – und das finde ich sehr sympathisch!

Alles in Allem muss ich sagen, dass Villandry zu meinen Lieblingsschlössern im Loiretal zählt. Schön, würdevoll, geschichtsträchtig – und vor allem mit einem nachhaltigen und intelligenten Konzept geführt. Die Besitzer betonen in ihrer Broschüre immer wieder, dass sie es als ihre Aufgabe betrachten, das kulturelle Erbstück, das ihnen zufiel, zu bewahren und mit der Öffentlichkeit zu teilen. Sie zeigen den Besuchern gegenüber Gastfreundschaft und Respekt, bezeichnen diese als Mäzenen für Villandry. Ich wünsche ihnen von Herzen, dass das Schloss, nach Jahrzehnten wirtschaftlicher Nöte und einem beherzten Aufschwung seine Erfolgsgeschichte fortschreiben möge.

Ich werde mit Sicherheit zurückkommen – vielleicht zur Erntezeit!

Zum Schluss noch ein Lifehack: Das Schloss und seine Gärten erscheinen im schönsten Licht jeweils etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang.

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9 Gedanken zu “Villandry – Finesse & Grandezza im Würgegriff der Finanzen

  1. Da ich leider noch nie die Gelegenheit hatte, das Loiretal mit seinen Schlössern zu besuchen, habe ich Deinen interessanten Bericht mit großer Aufmerksamkeit gelesen, und Deine schönen Bilder sehr genossen. Ich hoffe wir finden beide unseren Weg dorthin, Du zum wiederholten, ich zum ersten Mal.
    Schön, wieder etwas von Dir zu lesen, liebe Andrea. Ich hoffe es geht Dir gut.
    Herzliche Grüße,
    Tanja

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  2. Nachdem ich gestern Abend beim Fernsehen die „Gärtnerin von Versailles“ mit Kate Winslet sah, passt Dein Beitrag mit Geschichte, Bau und Gärten von Villandry wirklich gut. Schön, von Dir zu lesen. Gute Sommerfrische und Ferientage mit besten Grüßen

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    • Vielen lieben Dank für deine Botschaft! Die „Gärtnerin von Versailles“ habe ich noch nicht gesehen aber es ist ein guter Tipp und wahrscheinlich auch Inspiration für mich für weitere Geschichten! Lieben Gruß zurück aus dem sommerlichen Wien, Andrea

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