Tosca for eyes wide shut – schön gesungen, miserabel gespielt

Es ist der 31. Jänner – ein sehr schöner Tag, denn wir haben Karten für Tosca. Das Wetter bietet zwar ein breites Portfolio an Gemeinheiten, um die Vorfreude zumindest verkehrstechnisch zu mindern, aber wir kämpfen uns durch Eisregen und Schneefall und finden uns rechtzeitig am Ort des Geschehens ein. Wir haben sogar noch Zeit, einen Abstecher ins Café Mozart zu machen, um uns auf den Kunstgenuss einzustimmen. Dafür müssen wir jedoch gut 200 m zu Fuß bewältigen. Gar nicht so einfach, denn die ganze Stadt ist von einer hübschen weißen Schneedecke bedeckt, unter der gemeine Eisflächen lauern. Die Bessere Hälfte beklagt sich ob der Glattheit seiner Schuhsohlen. Was soll ich dazu sagen?  Auch nicht einfacher auf meinen 8 cm Absätzen. Aber wir halten uns an der Hand und rutschen durch das Winter-Wonderland zum Café. Drinnen werden wir für die heldenhafte Tour de force entschädigt, denn wir bekommen einen netten Tisch und gutes Essen – serviert von einem sehr freundlichen Kellner, der, gemäß der aufmüpfigen Tradition des Café Mozarts, nichts vom Kultfaktor Wiener Schnoddrigkeit hält. Ich bin ihm sehr dankbar dafür.

Derlei gestärkt kehren wir zur Oper zurück, um die 591. Aufführung der berühmten Wallmann-Tosca zu erleben. Nein, ich habe mich nicht vertippt – die Inszenierung gibt es im Haus am Ring seit 59 Jahren:  sie hatte 1958 Premiere. Das Bühnenbild von Nicola Benois (das mittlerweile sogar unter Denkmalschutz gestellt wurde) wirkt dementsprechend klassisch.  Gut proportioniert, zurückhaltend, mit viel Gefühl für Stil und feinen Lichteinstellungen, aber ein wenig in die Jahre gekommen. Was aber wunderbar zum etwas verstaubten Charme der Staatsoper passt.

Der Abend ist ein wenig improvisiert: Anstelle der erkrankten Adriane Pieczonca springt Sae Kyung Rim als Tosca ein. Aleksandrs Antonenko alias Mario Cavaradossi hat gerade eine Krankheit überstanden, sodass er, wie zu Beginn angekündigt, zwischen zwei Arien gelegentlich ein wenig hüsteln muss. Marco Vratogna übernimmt kurzfristig die Rolle des Scarpia vom ebenfalls erkrankten Thomas Hampson. Die Grippewelle hält das Haus wohl ordentlich in der Hand. Am Dirigentenpult nimmt dafür niemand Geringerer als Altmeister Plácido Domingo Platz. Was im Späteren ebenfalls zu einigen heiklen Situationen führen wird.

Jetzt geht es aber los. Der geflohene Angelotti (Ryan Speedo Green) betritt die Bühne. Sein Bass-Bariton, der für seine Wärme berühmt ist, erscheint mir an diesem Tag aber etwas rau und wenig ausdrucksstark. Dieser Blässe steht auf der schauspielerischen Seite eine eigenartige Spielfreude gegenüber, die ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. In Tosca geht es zwar um Kampf und Gewalt und Leid und Leidenschaft, aber „Drama Baby“ müsste man dann auch wieder nicht dermaßen holzhammermäßig interpretieren.  Denn die einzige Fortbewegungsart, die Green zu kennen scheint, ist Torkeln. Er bewegt sich ausschließlich in Schieflage mit Seitwärtsschritten und ja, ich verstehe zwar: er ist geschunden und wird gejagt und hat Angst aber trotzdem ergibt es keinen Sinn, sich niemals aufzurichten.

Und wenn er mal 5 Minuten auf einer Treppe sitzend singt, um danach mit 2 hastig hingetorkelten Schritten die versungene Zeit aufholen und das Konzept „ich muss schnell weg“ darstellen zu wollen, kommt einfach nur Staunen ob der unglaubwürdigen Schauspielkunst auf.

Jetzt folgt aber auch schon der Auftritt des Mesners, der über eine wesentlich ausgeprägtere Feinmotorik und viel Gespür für Komik verfügt. Seine Frömmelei ist dermaßen exakt auf die Musik abgestimmt und die Choreographie so pointiert ausgeführt, dass Puccini sich an dieser Stelle fast schon wie Filmmusik bei einem Zeichentrickfilm anhört. Überraschend interessant.

Nun erscheint auch Cavaradossi auf der Bühne und Aleksandrs Antonenko schlägt sich, trotz Krankheit, durchaus passabel. Auch seine Darstellung ist überzeugend. Ich nehme ihm seine Gesinnung und seine Hilfsbereitschaft für Angelotti durchaus ab. Seine kleinen Differenzen mit dem frommen Mesner werden zurückhaltend aber humorvoll ausgeführt. Als er sich an seine Arbeit machen möchte, erscheint jedoch Tosca und bringt einiges durcheinander.

Sae Kyung Rim, die hier ihr Rollendebüt gibt, schafft es nämlich nicht, die große Diva zu verkörpern. Ihre Stimme ist schön und lässt sich auch durch die überdehnten Tempi, die der Maestro zuweilen andirigiert, nicht aus der Ruhe bringen. Aber die schauspielerische Leistung bleibt leider sehr stark hinter dem Gesang zurück. Tosca ist eifersüchtig, weil sie Cavaradossi dermaßen leidenschaftlich liebt. Von dieser Leidenschaft ist aber bei Sae Kyung Rim gar nichts zu bemerken. Sie läuft mit trotzigen Schritten mal nach links, mal nach rechts, schaut manchmal böse, manchmal gekränkt, dann auch wieder freundlich. Aber eine wie auch immer geartete Chemie zwischen ihr und Antonenko ist nicht auszumachen. So wird die große Diva, die stolze Raubkatze auf einen kleinlichen Kontrollfreak reduziert, der seinem Geliebten nachspioniert, damit er ja nicht seinen Besitzrechten entgleitet. Tosca wühlt nicht auf, sie nervt nur. Wahrlich originell, aber ich bin mir sicher, dass dieser Rolle noch facettenreichere Nuancen abzugewinnen wären.

Dabei – und das muss ich betonen – singt Sae Kyung Rim wirklich schön und wenn sie ihren Cavaradossi anfleht, die Augenfarbe der von ihm gemalten Madonna doch in Schwarz (ihre eigene Augenfarbe) umzufärben, kann man, schließt man die Augen, doch viel Sehnsucht, Liebe und Leidenschaft erahnen.

Auftritt Scarpia. Marco Vratogna ist perfekt für die Rolle des Bösewichts hergerichtet und im ersten Akt nimmt man ihm seine Verdorbenheit und seine Machtbesessenheit durchaus ab.

Jetzt passiert aber etwas Eigenartiges. Kaum, dass Scarpia den Fächer der Schwester Angelottis entdeckt, dirigiert Plácido Domingo die Streicher und Blechbläser plötzlich zeitlich verschoben. Dies irritiert natürlich auch die Sänger und die Ratlosigkeit ob der unerwartet avantgardistischen Note, die der Musik dadurch beigefügt wird, ist ihnen anzumerken. Es dauert einige Zeit, bis die Synchronität wieder hergestellt ist.

Das Tedeum vom Chor erklingt dann sehr schön, wirklich berührend.

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Mittlerweile sind wir im zweiten Akt angelangt und ich habe schon ein wenig Angst vor der Folterszene. Folter macht mich krank. Während wir uns jedoch auf diesen befürchteten Tiefpunkt des Aktes zubewegen, verliert Vratogna sichtlich die Lust am Spielen. Im Palazzo Farnese dinierend wirkt er wie ein etwas müder Beamter kurz vor der Frühpensionierung. Wenn er darüber singt, wie sehr er es genießt, Frauen zu nehmen und anschließend wegzuwerfen beziehungsweise dem Alkohol zu frönen, kommt keine Freude an seiner Verdorbenheit auf. Nun nimmt er, quasi als Beleg für seine bacchantischen Gelüste, einen Schluck aus seinem kunstvoll verzierten Kristallkelch – Genussfaktor null. Als müsste er im Zuge einer Detoxkur das zehnte Glas Wasser am Tag trinken. Dass er es wirklich auf Tosca abgesehen hat, glaube ich ihm nicht. Lust, Leidenschaft oder gar Gier fehlen absolut in seinem Repertoire. Er wirkt so spröde und bieder, dass man versucht ist zu sagen: „es passt schon Scarpia, genug der großkotzigen Ansagen, iss schön auf und gehe dann brav schlafen“.

Zwischendurch wird Cavaradossi gefoltert. Aber das Orchester ist so laut, dass man es nur sehr schwer erahnen kann. Tosca rennt immer wieder zur halboffenen Türe, um nach dem Rechten zu sehen, aber ohne das geringste Anzeichen wilder Entschlossenheit, ihren Geliebten zu retten. Irgendwann wird sie mit Scarpia dann doch handelseinig und nun folgt die große Arie „Vissi d´arte“. Obwohl Sae Kyung Rim hierbei von Domingo tempomäßig erneut ein wenig in Stich gelassen wird, singt sie so schön, dass es Szenenapplaus gibt.

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Danach geht es weiter mit dem halbherzigen Versuch Scarpias‘, Tosca endlich zu seiner Geliebten zu machen. Doch kaum singt er „Tosca finalmente mia“, ereilt ihn sein verdientes Schicksal: Tosca erdolcht ihn mit einem umliegenden Messer und gibt noch ein Statement ab, das dem Librettisten durchaus ein Gespür für schwarzen Humor attestiert „Questo è il bacio di Tosca“.  Nun verlässt sie aber – dramaturgisch nicht ganz nachvollziehbar – nicht schnellstmöglich den Palazzo Farnese, sondern arrangiert in mühevoller Arbeit zwei Kerzen am Kopf des Leichnams –  das ergibt aber ein schönes Bild, beinahe erhaben.

Der dritte Akt beginnt in der Engelsburg mit den Vorbereitungen für die Erschießung Cavaradossis. Wir hören „E lucevan le stelle“, sehr berührend.

Nun trifft jedoch Tosca mit den Passierscheinen im Gefängnis ein. Es folgt die für mich am glaubwürdigsten dargestellte Szene des Abends: die beiden Liebenden sehen sich wieder und es kommt für einige Augenblicke richtige Freude, Wärme und das Gefühl einer Verbundenheit auf. Bis diesmal Cavaradossi zu zicken beginnt und nach dem „Wie“ der Entstehung der Passierscheine fragt. Seufz. Tosca erklärt und überbringt Cavaradossi die gute Nachricht, dass er nur zum Schein erschossen werden sol. Dann wartet sie aufgeregt auf den Abzug der Soldaten.

Es kommt, wie es in einer waschechten spätromantischen Oper kommen soll: Der Held muss trotz Geleitbrief sterben. Bei der Hinrichtungsszene schwingt so viel Dramatik mit, dass die Bessere Hälfte instinktiv meine Hand ergreift. Ein erhabener Augenblick. Aber der Händedruck hilft nicht: Cavaradossi stirbt und wenig später stürzt sich auch Tosca von der Engelsburg in die Tiefe. Alle Protagonisten tot, Vorhang ab.

Es gibt höflichen Applaus für die Darsteller (etwas mehr für Sae Kyung Rim) und frenetischen Beifall für Plácido Domingo. Seine Ungenauigkeiten und falschen Einsätze scheinen verziehen: er hat genau das gebracht, was man von ihm erwartet hatte: Leidenschaft und ehrliches Glühen für die Musik.  Er ist nun einmal ein Meister der Motivation, der Orchester und Publikum gleichermaßen in seinen Bann zieht, möge er noch so große Schwachstellen haben. Interessant, aber irgendwie auch sympathisch, dieser entspannte Umgang in Wien mit großen Persönlichkeiten und ihren Fehlern.

Tosca wurde mit Sicherheit schon besser, gefühlvoller und differenzierter interpretiert– aber für eine grippebedingt dermaßen angeschlagene Besetzung war der Abend doch recht schön – und Aufführung Nr. 592 folgt bald.

Die Bilder entstammen der gleichen Inszernierung, jedoch in einer Besetzung mit Martina Serafin.

6 Gedanken zu “Tosca for eyes wide shut – schön gesungen, miserabel gespielt

  1. Schön beschrieben, auch das Drumherum … obwohl Domingos „Dirigat“ schon nach einem Fall für „ears wide shut“ klingt. Andererseits: die avantgardistische Note hätte ich schon gern gehört.
    Meine erste Tosca habe ich auch in Wien gehört, muss im 42. Jahr dieses Inszenierung gewesen sein. Damals war ich ein Jahr lang fast jeden Abend auf einem Stehplatz in der Staatsoper.

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