02. Jänner – Throwbackmonday mit Sigmund Freud

Es ist der 2. Jänner 1913. Die 18-jährige Anna Freud hält sich seit einigen Monaten in Meran auf. Sie wurde zur Erholung dorthin geschickt; sie soll ein wenig zunehmen und  ihre etwas labile Gesundheit festigen. Während dessen spielen sich wichtige Ereignisse in der Familie Freud ab. Die zweite Tochter Sophie verlobt sich überraschend. Anna bittet ihren Vater, ihren Meran-Aufenthalt abbrechen und an der Hochzeit teilnehmen zu dürfen. Doch dieser Wunsch wird ihr entschieden verwehrt. Anna beugt sich natürlich seinem Willen.

In diesen frühen Briefen zwischen Vater und Tochter ist es sehr auffällig, wie zärtlich-kindlich die junge Anna um die Aufmerksamkeit und Zuneigung ihres Vaters ringt und mit welcher Selbstverständlichkeit Freud über ihr Leben bestimmt. Es dauert noch lange, bis die vollkommene Unterordnung Annas einer gleichberechtigten, kollegialen Beziehung zwischen Vater und Tochter weicht. Anna Freud wird nie eine eigene Familie gründen und unterstützt ihren Vater zunächst als Sekretärin und Assistentin und später als wichtigste wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit der er auf Augenhöhe diskutiert. Sie wird ihn auch durch seine schwere Krankheit begleiten – aufmerksam und aufopferungsvoll, aber vollkommen unsentimental.

Doch lesen wir diesen frühen Brief Freuds: jenen, in dem er ihr ihre „ernsten Pflichten als (nunmehr) einzige Tochter“ ankündigt.:

1.1.13.

Prof. Dr. Freud

Wien, IX., Berggasse 19.

Meine liebe Anna

Heute finde ich auch einmal Zeit, Dir einen Gruß zum neuen Jahr zu schicken. Ich bin sehr zufrieden, daß Du Dich für Deine ernsten Pflichten als einzige Tochter gesund und kräftig machst, während Deine Vorgängerin ihre letzten Rollen abspielt. Es ist schön, daß Du Dich in den notwendigen Verzicht so leicht gefunden hast. Du wirst es kaum bereuen müssen.

Wie haben ja sehr viel indirekte Nachrichten über Dich gehabt, alle günstig, aber es bleibt der Eindruck, daß die späteren Wochen immer wertvoller sind als die früheren, und darum wollen wir vom Heimkommen noch nicht sprechen.

Die Monate seit Deiner Abreise sind für mich besonders ausgefüllt gewesen. Die heute oder wenigstens am 6. Januar abschließende Feiertagszeit war darum besonders erwünscht. Mein Schnupfen hört leider nicht auf oder fängt wieder von neuem an. Eine Reise nach Meran wäre da sehr angebracht gewesen, aber dann hätte ich mir vorwerfen können, daß ich nicht zum 80.sten Geburtstag von Onkel Emanuel nach Southport gefahren bin. Also lieber schön zu Hause geblieben.

Gestern und vorgestern war ich in der Oper, einmal bei einem dritten Akt, aber das andere Mal brauchte ich nur eine Szene zu versäumen. Doch gewiß seltene Ereignisse und in solcher Häufung.

Ich bin also dafür, daß Du Dir den Aufenthalt auch weiterhin angenehm machst und uns schöne Briefe von Deinen Fortschritten schickst.

Empfiehl mich der Frau Doktor und nimm herzliche Grüße von Deinem

Vater

Das Zitat entstammt folgender Ausgabe: Sigmund Freud und Anna Freud; Briefwechsel 1904-1938; herausgegeben von Ingeborg Meyer-Palmdeo; S.Fischer, 2006

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Und zum Abschluss noch: Ich weiß, er ist recht unangebracht aber ich finde diesen Cartoon so lustig und thematisch doch passend, dass ich ihn hier unbedingt abbilden möchte. Fröhliches neues Jahr und auf eine gute Rechtschreibung!

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9 Gedanken zu “02. Jänner – Throwbackmonday mit Sigmund Freud

  1. Liebe Anna,
    lange her, dass ich einige der Werke Freuds lass und mich überhaupt mit ihm beschäftigt habe. Dein Beitrag und der Brief machen mich wieder neugierig: Mit welcher Selbstverständlichkeit der Patriarch da die Rollen für die Töchter festlegt, das wundert mich doch. Ich muss unbedingt mehr über dieses Vater-Tochter-Verhältnis nachlesen…

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  2. An der Hochzeit eines Geschwisters gemäß väterlichem Gebot nicht teilnehmen zu dürfen, finde ich erstaunlich. Danke für diesen – mit dem wortspielerischen Cartoon – und alle Beiträge des Jahres. Mit besten Wünschen und Grüßen zum neuen Jahr!

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  3. Ach, endlich mal ein unverkrampfter, leicht lesbarer und doch anspruchsvoller Artikel. Mir geht bei Berichten über Freud öfter mal so, dass zu sehr ins Theoretische abgleiten und mich dann ein wenig langweilen. Sehr aufschlussreiches Thema, wie ich finde. Und der Cartoon ist köstlich!

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  4. Pingback: 13. Februar – Throwbackmonday mit Lou Andreas-Salomé |

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