Der 8. Mai 1875 ist ein wichtiger Tag im Leben der 15 Jahre jungen Anna Nahowski: Bei einem morgendlichen Spaziergang in Schönbrunn begegnet sie dem 45 Jahre älteren Kaiser Franz Joseph.
Die blonde Anna, die aus einer gutbürgerlichen, aber verarmten Familie stammt, ist um diese Zeit bereits mit dem spiel- und trinksüchtigen Sohn eines Seidenfakbrikanten verheiratet und aufgrund dessen Leichtfertigkeit auf dem Weg zum erneuten sozialen Abstieg. Der Kaiser macht großen Eindruck auf sie…
8. Mai 1875
Mein Mann sein Leichtsinn macht Fortschritte. Er drängt mich daß ich mich zerstreue, damit ich ihm keine Vorwürfe machen kann. Um auf meinen Spaziergängen nicht so viel von Männern belästigt zu werden, wähle ich die Morgenstunden und nehme mir mein Dienstmädchen mit, das ich schon von meiner Kindheit an kenne, u. die meine einzige Gesellschaft ist, u. mit der ich sprechen kann wie es mir ums Herz ist. Wir gingen spazieren… und das große Ereignis begann.
Unter andern Wegen gingen wir auch nach Schönbrunn. Um 6 Uhr früh waren wir im Park u. begegneten einen Offizier der bei meinen Anblick verwundert auf mich starrte u. sich nicht satt sehen konnte u. unzählige male nach mir sich drehte. Mein Dienstmädchen sagte mir dies sei der Kaiser. Wirklich frug ich u. alles Blut drängte sich zum Herzen. Der Kaiser auf den ich einen großen Eindruck gemacht haben muß suchte mich von allen möglichen Seiten zu begegnen. Im Anfang freute es mich, ich hilt es für Zufall, und da ich Ihn noch nie in meinen Leben gesehen hatte, konnte ich ihm jetzt genau sehen, was ich auch mit geröthetem Antlitz that. Doch war bemerkt´ich, Er verfolgt mich ja, das geht so fort, er ist mir gewiß ein dutzendmal schon entgegen gekommen, nun kehr Er um, und kommt mir nach, ich eile, was ich kann, es regnet, auch dies hindert Ihm nicht.
Ich eilte gegen das Jägerhaus in der Meinung, wenn ich beim Thürl hinein gehe wo der Weg zum Jägerhaus führt, bin ich vor ihm sicher, so weit wagt Er mir nicht nach zu laufen. Ich eile hinein bin meinen Mädchen weit voraus, laufe noch ein Stückchen Weg wie ein Schulkind, u. bleib um Luft zu schöpfen stehen. Ich blick mich nach der Lini um u. sehe Oh Entsetzen auch den Kaiser hier. Also von neuen laufen, doch ich höre seinen Tritt immer näher, jetzt ist Er knapp hinter mir… da von entgegengesetzter Seite kommt ein Burgwächter ich bin erlöst, der Kaiser verschwindet.
In Jägerhaus angekommen trank ich nur stehend ein Glas Milch ich war zu aufgeregt, nur fort, nachhause. Zuhause keine Ruh, fort denk ich an diese Begegnung Tag und Nacht steht das Bild des Kaisers mit seinem Lächeln vor mir!
Soll ich wieder nach Schönbrunn gehen? Hundertmal sagte ich nein! u. ebenso oft, ja! und ich ging…
Es kommt wie es kommen muss: zwischen der 15-jährigen Ehefrau und dem 45-jährigen Kaiser, Ehemann, Vater und Großvater entwickelt sich eine Romanze, die 14 Jahre währt. Anna vergöttert Franz-Joseph, der sie alle 7-14 Tage besucht, um jene Sinnlichkeit auszuleben, für die das kaiserliche Parkett wenig Platz bietet. Die Affäre wird diskret aber durchaus mit Wissen und Duldung seitens des Hofes geführt. So erhält Anna (die in zweiter Ehe mit einem Eisenbahner namens Nahowski verheiratet wird) bald eine Wohnung nahe Schönbrunn und besitzt 10 Jahre nach Beginn der Liaison bereits eine hübsche Villa in der Nähe des kaiserlichen Parks.
In dieser Zeit erleidet sie fünf Fehlgeburten und schenkt drei Kindern das Leben. Nie stellt sie diese jedoch ins Rampenlicht und lediglich bei ihrer Tochter Helene (der späteren Ehefrau des Komponisten Alban Berg) deutet sie vage an, diese sei ihrem Vater nicht ganz aus dem Gesicht geschnitten. Viele Stimmen behaupten, dass Helenes Fotos an den jungen Kaiser erinnern.
Die Jahre verfliegen, und Anna registriert beunruhigt das Erscheinen einer Nebenbuhlerin auf der Bühne. Der Kaiser kommt seltener und wird eitler, lässt sich sogar „eine Taggeschwulst und Warzen“ im Gesicht entfernen. Seine Bemühungen gelten jedoch nicht seiner langjährigen Geliebten, sondern der Förderung einer gesellschaftlich akzeptableren Beziehung mit der gefeierten Burg-Schauspielerin Katharina Schratt. Anna ist eifersüchtig, wird von seiner Majestät jedoch abgemahnt, ihm nicht nachzuspionieren. Die Beziehung wird zunehmend angespannter, dem Kaiser fehlt jedoch die Entschlossenheit, sie zu beenden. Erst nach dem Selbstmord seines Sohnes wird der Schlussstrich gezogen – einen weiteren Skandal kann sich der Hof nicht mehr erlauben.

Helene Berg – Kaiser Franz Joseph – Katharina Schratt
Zu einer letzten Begegnung kommt es nicht mehr. Der Kaiser beauftragt den verlässlichen und diskreten Baron Krauss mit der Abwicklung der Affäre. Anna wird in die Hofburg beordert, wo sie eine stattliche Summe, ein „Versorgungsgeld“ für ihre Kinder, ausgezahlt bekommt – im Gegenzug für eine schriftliche Verschwiegenheitserklärung.
Donnerstag den 14. März um 1 Uhr fuhr ich mit meiner Schwester in die Stadt. Stieg bei der Augustinerkirche aus den Wagen, u. ging allein in die Burg Schweizerhof.
Ein Burgwächter wie mir den Weg. Ein schwarz gekleideter Diener empfing mich, ließ mich einen Moment im Vorzimmer warten, u. trug meine Karte herein. Bald darauf kam ein Herr heraus, u. der Baron selbst steckte den Kopf heraus u. ersuchte mich einzutreten. Er entschuldigt sich, daß er mich zu sich kommen ließ, er wäre gerne zu mir gekommen, doch fürchtete er die Sache würde auffallen u. mir Unannehmlichkeiten bereiten. Er habe den Auftrag von Kaiser erhalten mir ein Geschenk zu überreichen welches ich selbst bestimmen möge. Es dürfte in der Höhe sein wie ich bereits eines erhalten habe.
Werde ich den Kaiser nicht mehr sehen? Frug ich. Er hat mir doch gesagt, daß Er es mir selbst sagen wird, sobald Er mich nicht mehr zu sehen wünscht. Verlangen Sie es nicht, sagte mir der Baron. Der Kaiser ist von dem Unglück ganz gebrochen. Er wünscht Niemanden mehr zu sehen. Er schwieg.
Ich glaube Ihnen Herr Baron, das Unglück ist fürchterlich. Aber bitte, was sagen Sie zur Schratt, was halten Sie von den Verkehr?
Ich? Sagte der Baron u. zog die Achsel hoch. Mir sagt Er, es sei nur Freundschaft. Er sagt ich weiß nicht was die Leute haben? Ich bin ja nicht verrückt in Sie. Verrückst ist die Kaiserin in die Schratt, ich nicht! Die Leute sehen doch daß ich mein unschuldiges Kind hinführe, u. noch spricht man so dummes Zeug.
Dasselbe sagt Er mir, u. wegen der Schratt, hatten wir uns gezankt u. ich bat Ihm nicht mehr zu kommen, auf das Er nicht einging.
Wie lang hatten Sie den Verkehr mit Ihm, frug der Baron.
14 Jahr. Ich sah Ihm zum letzten mal am 29. Dezember 88 noch.
Nicht möglich. Ich staune wie dies so in Geheimen möglich war, ich wußte nichts davon, u. habe doch meine Leute welche ihm bewachten. Obwohl der Kaiser u. die Kaiserin sehr dagegen sind daß man Ihnen aufpaßt tue ich es doch. Ich muß wissen was vorgeht.
Wie war es möglich die Sache vor Ihrem Gemahl so gut zu verbergen, wenn der Kaiser in´s Haus kam.
Dieses Ausfragen wurde mir peinlich. Das Blut stieg mir zu Kopf u. ich frug: Muß ich Ihnen dies Alles erzählen Herr Baron?
Bitte, bitte ich will nicht weiter in Sie dringen, bin nur überrascht, die Sache ist sehr interessant. Nun bitte bestimmen Sie.
Herr Baron ich möchte bitten daß ich meine 3 Kinder gut versorgen kann.
Mein Mann hat wegen mir seinen Dienst verloren.
Das Geschenk darf in der Höhe sein wie das, welches Sie schon einmal erhalten haben.
Ja sagte ich: das waren 100.000 fl.
Nicht möglich rief er.
Es ist doch so, fragen Sie Ihn selbst.
Also sagte er, jedes Kind 50 macht 150.000 fl.
Bitte sagte ich, u. ich glaube er muß mir das Unbehagen u. den Ekel von Gesicht herab gelesen haben, was mir diese Fechterei verursachte. Machen Sie die zweiten Hunderttausend voll.
Schnell entschlossen sagte er ja, gut, stand auf, ging zu einer 3 thürigen großen Casse nahm zwei Packen Tausender heraus, u. war sichtlich erfreut so billig davon gekommen zu sein.
Nun muß ich noch bitten sagte er mir niederzuschreiben was ich diktiere.
Darf ich früher wissen was ich zu schreiben habe?
Sie werden bestätigen, daß Sie das Geld erhalten haben, und versprechen zu schweigen.
Schweigen muß ich ja auch wegen mir.
Ich stand auf von Sofa u. setzte mich an seinen Schreibtisch. Der Baron diktierte beiläufig folgendes:
„Ich bestätige hiermit daß ich am heutigen Tag 200.000 fl als Geschenk von Seiner Majestät den Kaiser erhalten habe. Ferner schwöre ich, daß ich über die Begegnung mit Seiner Majestät jederzeit schweigen werde
Anna Nahowski
Wien, 14. März 889“
Nun band er mir das Geld in ein graues Papier, gab Spagat darüber, ich reichte ihm die Hand u. bat ihm den Kaiser noch zu sagen, Er soll mir die Busennadel wieder geben, die ich ihm zurückgab.
Ja wird Er sich erinnern? Wie sieht sie aus?
Ich sagte Ihm: Hufeisenform, darauf schwarze, weiße u. rote Perlen. Wenn der Kaiser wieder hier ist, sagte ich ihm werde ich in 8 Tagen danach kommen.
Ich glaube Er hat die Nadel in Schönbrunn.
Nung ging ich. Ich höre noch wie der Baron den Diener frug. Niemand dagewesen?…
Nun fuhr ich nachhause. Am liebsten hätte ich Alles was ich erhilt meinen Mann gegeben, u. doch rief es in meinen Inneren. Es ist das Letzte, du siehst u. bekommst nie mehr etwas, behalte dir einen Notpfennig. Denn in Geldsachen hast du kein Glück mit deinem Mann, von ihm hast du nichts zu hoffen. Und ich behilt 50.000 fl für mich die ich in 4% Papieren anlegte.
14. März 1889 – ich komme v. der Burg nachhause – alles ist so wie früher. Die Kinde laufen u. Lini schreit: „Kommt mir Jemand zu Hilfe, die Annschi reißt mir die Haar aus!“ Lenchen sagt, als ich in´s Kinderzimmer komm: „Meine Mimi-Mumi.“ Lini schaut mich neugierig an – ich sage: morgen! Gehe ins Schlafzimmer hinein – u. schau – gehe in Salon – beim Kamin in Zigarrentischchen noch Zigarren, welch Er geraucht. Vom roten Teppich werde ich nie mehr die Fußspuren abputzen – wie doch Alles so leer, so ganz anders ist! Nicht schön ist meine Wohnung mehr traurig, als ob mir das Liebste gestorben wäre. Der geheimnißvolle Zauber, das Märchenhafte, verschwunden! Es ist Alles wie bei andern Menschen – u. ich bin nicht mehr Ich.
Es war alles wie sonst, u. doch ganz anders. Ich war frei. Die Kinder wurden zu Bett gebracht, dann nahmen wir das Nachtmahl, u. früher wie sonst ging ich in mein Schlafzimmer. Ruhig zog ich mich aus u. ging zu Bett. Also aus, Alles aus, u. vorbei. Jeder Gegenstand im Zimmer erinnert mich an Ihn. Hier ist Er gesessen, hier gestanden. Und nun: nie mehr wieder! Er war mein guter Stern, mein Halt. Was für Leute haben sich an mich gedrängt, der Gedanke an Ihn, hat mich immer den richtigen Weg finden lassen. Nun vorbei. Nie mehr. Ich weinte bitterlich, u. konnte mich lange nicht beruhigen. Das, was ich die letzten Jahre voraus sah, u. wünschte schmerzte mich. Ich fühlte eine fürchterliche Leere. –
Die Busennadel habe ich gleich nach Ankunft des Kaisers erhalten.
Nahowski kommt nachhause, war spazieren. Ich reiche ihm das Geld, er möchte Alles wissen was der Baron gesagt. „Laß mich – bis morgen!“ Er sagt, „Willst Du Dich nicht ausziehn?“ Ich greife am Kopf – richtig, noch der Hut. – Mir ist so schwer u. bange – kann nicht weinen, muß mir immer denken; denken — Nacht endlich träumen, die ganze Nacht, u. das eine „Nie mehr“ sage ich mir hundertmal!
Anna Nahowski hält sich ihr Leben lang an das Versprechen zu schweigen. Ihre Memoiren hinterlässt sie ihrer Tochter Helene. Das Tagebuch wird versiegelt und erst nach Helenes Tod 1976 veröffentlicht.
Die Enthüllungen lösen kleinere Schockwellen in der Öffentlichkeit aus. Der Kaiser und die Burgschauspielerin: das war mehr oder weniger ein offenes Geheimnis – aber ein einfaches Mädchen aus dem Volk, noch dazu 14 Jahre lang? Dabei fällt jedoch auf, wie wenig reißerisch die Aufzeichnungen Anna Nahowskis sind und wie wenig leidenschaftlich die Beziehung verläuft. Der Kaiser besucht Anna regelmäßig, aber meistens in den frühesten Morgenstunden – denn viel Zeit hat er nicht, der Herr über einen gärenden, unruhigen Vielvölkerstaat. Und irgendwie wirkt es etwas beamtenhaft, fast schon kleinbürgerlich – dieses strenge Korsett der langjährigen Romanze, die der pflichtbewusste Kaiser sich abseits des Hofes, aber gut integriert in seinen Tagesplan leistet. Eine sinnliche, aber doch nicht zu leidenschaftliche Affäre, ein merkbarer, aber doch nicht zu auffälliger Riss an der perfekten Oberfläche des Hofprotokolls, eine kleine Portion Glück, die das große Gesamtbild niemals in Frage stellen will.
Die Zitate entstammen folgender Ausgabe: Anna Nahowski & Kaiser Franz Josef : Ihr Leben – ihre liebe – ihre Kinder; Herwig Knaus; Löcker; 2012, Wien
Wie immer wunderbar und mir diesmal völlig unbekannt. Liebe Grüße, Petra
LikeGefällt 1 Person
Danke schön, es freut mich sehr, wenn dir der Text gefallen hat. Ich fand es sehr berührend, wie Anna die Beziehung erlebt und wie sie über den „Abschied“ geschrieben hat. Liebe Grüße, Andrea
LikeLike