30. Jänner – Throwbackmonday mit meiner Schwester

Es ist der 30. Jänner 1970 – obwohl ich zu dieser Zeit noch gar nicht auf der Welt bin, ist dies ein wichtiger Tag für mich: meine ältere Schwester wird geboren! Und damit ein wichtiger Ankerpunkt für mein Leben gelegt.

Als ich, 2 Jahre später, ebenfalls ankomme, ist sie schon da: mit niedlichen Zöpfchen, blauen Augen, unaufhörlich plappernd zieht sie die Aufmerksamkeit der Eltern, Großeltern und Freunde auf sich, sodass ich Zeit habe, das zu tun, was ich am liebsten mache: Beobachten, Zuhören, Eindrücke speichern.

Von diesem Zeitpunkt an ist sie immer für mich da. Sie erzählt alles, was ihr widerfahren ist und versucht, mich in ihre neu erworbenen Fähigkeiten einzuweihen. So kann ich sehr schnell stehen, gehen, reden – und als sie einige Jahre später eingeschult wird, gibt sie die ersten Geheimnisse des großen Mysteriums, wie aus Buchstaben Wörter und Sätze werden, brühwarm an mich weiter. Ein großer Glücksfall: denn von nun an darf ich im Kindergarten während der Mittagsstunden lesen und muss nicht mehr am entwürdigenden Ritual des Mittagsschläfchens teilnehmen.

Dann stirbt eine ältere Dame in unserer Umgebung und damit brechen schwere Zeiten an: Viel zu jung stelle ich mir die Fragen, was der Tod wohl bedeute, wie lange die Ewigkeit dauere und wie mit diesem Wissen umzugehen ist. Mein Vater, der Naturwissenschaften liebt, klärt mich umfassend über die Entstehung des Universums auf, erfreut über mein plötzlich erwachtes Interesse. Aber nur meine Schwester ahnt, welche Angst, welche Verunsicherung in meinen Fragen steckt. Nachts kann ich nicht schlafen. Aber sie ist für mich da und redet mit mir, immer wieder, stundenlang, bis die bösen Schatten sich verziehen. Und sie lacht mich aus. Das tut gut. Irgendwann tun die Fragen nach dem „Warum“ und „Wie lange“ nicht mehr weh. Das Leben geht weiter.

Natürlich ist unsere Beziehung nicht ganz friktionsfrei. Denn es gibt Rivalitäten und Eifersüchteleien und trotz Liebe und Zusammenhalt viele kleine Gemeinheiten. Genau diese bescheren jedoch eine überraschende Einsicht. Als ich nämlich nach einem als besonders fies empfundenen Foul zum obligatorischen „Ich rede nieeee wieder mit dir!“ ansetze, überlege ich mir das erste Mal, wie sinnbefreit diese Aussage ist. Denn mein ganzes Leben lang nicht mehr mit ihr reden, das möchte ich auf keinen Fall. Wie lange soll dann aber der Kommunikationsbann dauern? 2 Tage? Einen? Das wird ja doch nur langweilig. Dann könnte ich doch gleich damit aufhören – und so beschleicht mich das erste Mal das Gefühl, dass es viel besser ist, will man irgendwann verzeihen, es doch gleich zu tun. Eine Erkenntnis, die mir im Laufe des Lebens noch viel Leerlauf erspart.

Die Zeit vergeht. Irgendwann hören wir auf, uns in die Haare zu kriegen. Stattdessen stärken wir einander den Rücken bei vermeintlichen Fehlleistungen der Eltern, Freunden oder Schulkollegen. Brainstormen für Verhandlungen über Ausgehzeiten, Taschengelderhöhungen und sonstige bewilligungspflichtige Fragen der Pubertät. Trösten einander bei Niederlagen.

Wir lesen uns gemeinsam durch die Werke der großen französischen Romanciers. Andere Bereiche der Literatur entdecke ich ohne sie und werde von ihr gemahnt, weniger Goethe und mehr Partys in mein Leben zu lassen. Irgendwann klappt das auch. Will ich aber eine Party besuchen, kann ich mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie (wieder einmal) meinen Kleiderkasten leergeräumt hat. So lerne ich Genügsamkeit und Kreativität. Und bediene mich bei der nächsten Gelegenheit an ihrem Schrank.

Jetzt kommt die Zeit des Studiums: Sie inskribiert Architektur und ich widme mich den Geisteswissenschaften. Wenn wir gemeinsam verreisen, bedeutet dies ein schönes Zusammenspiel jener Fakten, die einen Ort zum Leben erwecken können. Nimmt man sich ein Hotelzimmer in einem geschichtsträchtigen Haus, eruiert sie mit forensischer Genauigkeit, was sich dort alles abgespielt haben könnte. „Siehst du, da war früher ein Kamin, und diese Wand hier, die wurde vor ca. 100 Jahren eingezogen und die Fenster verlegt.“

Mittlerweile sind wir beide erwachsen, wenn man es auch nicht immer merkt, wenn wir zusammen sind. Wir haben die Höhen und Kinderkrankheiten der Familiengründung, der Berufswahl und der Karriere, wenn auch zeitlich verschoben, aber doch in einem ähnlichen Rhythmus gemeistert und sind dabei immer für einander da gewesen. Unsere Kinder verstehen sich wie Geschwister und die gemeinsam verbrachte Zeit ist nach wie vor erfüllt mit Freude und Entspannung. Es ist ein unglaublich beruhigendes Gefühl zu wissen, dass es jemanden gibt, an den man sich immer wenden kann. Eine Schwester, die einen von klein auf kennt und immer versteht. Die zwar kritisiert aber immer Verständnis hat. Und die Kritik annimmt, weil sie weiß, dass Liebe und Verständnis mitschwingen.

Sie ist heute 47 – mittlerweile eine gehypte Architektin, was mir aber von Herzen egal ist. Klar bin ich zwar stolz auf sie, aber für mich bleibt sie in erster Linie immer das, was sie schon seit gut 40 Jahren ist: meine Schwester, witzig, warmherzig, manchmal einfach nur dämlich, aber auch klug, feinfühlig und lebensfroh.

Vor einigen Jahren habe ich ein Interview mit einer Schauspielerin gelesen. Die letzte Frage ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Lautete diese doch: „Was war das größte Glück Ihrer Kindheit?“ Und die Antwort hätte auch von mir stammen können: „Die enge Beziehung zu meiner älteren Schwester.“

Happy Birthday, sis!

11 Gedanken zu “30. Jänner – Throwbackmonday mit meiner Schwester

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