07. November – Throwbackmonday mit Jean Cocteau

Es ist der 07. November 1951, wir befinden uns an der Côte d´Azur in Saint-Jean-Cap-Ferrat, wo Cocteau gerade seinen 16-mm-Film „La Villa Santo Sospir“ fertig gedreht hat.

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Er hat noch 3 Tage vor der Abreise, 3 Tage, in denen er all das aufräumen, ordnen und abschicken muss, was sich in 8 Monaten Aufenthalt angehäuft hat. Der als Zeichner, Dichter, Träumer, Schauspieler und Filmemacher bekannte Universalkünstler hasst aber nichts mehr als seine Papierberge zu ordnen. „Die Anstrengung des Aufräumens“, klagt er, „ist aufreibend, viel aufreibender als die, etwas zu schaffen. Sie hat etwas von einem Beerdigungsunternehmen. Hunderte von Briefen die einen erdrücken mit dem Gewicht derer, die sie geschrieben hatten, und der Folgen, die sich daraus ergeben. Das Problem des Sammelns. Wohin mit dem, was man aufhebt?“ Entsprechend schlecht gelaunt fallen seine Tagebuchaufzeichnungen von diesem „schwebenden Tag“ zwischen Santo Sospir und Paris aus.

Bemerkenswert ist jedoch, wie genau sich so viele Facetten seiner Persönlichkeit in den Aufzeichnungen eines einzigen Tages abbilden.

Er berichtet über seine Arbeit, über die Arbeit Anderer, philosophiert kurz über die Undankbarkeit künstlerischer Betätigung und reißt sein ewiges Thema an: wie sehr der Künstler von seiner Umwelt Missverstanden wird, wie sehr ihm seine eigenen Werke entfremdet werden.

Er geht auch auf die Politik ein. Obwohl er der politischen Sphäre bewusst fern steht, spürt er bereits in den frühen 50-er Jahren das enorme Bedrohungspotenzial, das von der Atomtechnik ausgeht und thematisiert dies – lange vor weitaus „politischeren“ Persönlichkeiten seiner Zeit. Auffallend ist auch seine Haltung, einer möglichen chauvinistischen Verblendung auszuweichen und auch das eigene Lager durchaus kritisch zu betrachten. Auch sein charakteristischer Skeptizismus bezüglich parteipolitischen Engagements kommt zum Ausdruck.

Zwischen den politischen und künstlerischen Betrachtungen wird immer wieder tagesaktueller Tratsch eingestreut, kleine, mit spitzer Feder gezeichnete Miniaturen.

Die Aufzeichnungen sind durchaus für die Öffentlichkeit bestimmt. Davon zeugt nicht nur der gewählte Titel Vollendete Vergangenheit (Le Passé défini), sondern auch die großzügige Empfehlung an jene, „die dieses Tagebuch einrichten werden, das, was nur mir als Bezugspunkt dient, wegzulassen und die Wiederholungen, die daher rühren, daß ich mich nicht mehr erinnere, ob ich das, was ich erzähle, nicht schon erzählt habe.“

7. November 1951

Infolge der üblen Atombombentests fällt in New York jetzt radioaktiver Schnee und legt die Fabriken lahm.

Friedenserklärungen ersetzen die Kriegserklärungen. Das Wort Frieden ersetzt das Wort Krieg. Haßerfüllt schleudert man sich den Frieden an den Kopf. Präsident Truman muß die russische „Friedensoffensive“ beantworten und schlägt Kontrolle oder Abschaffung der Bomben vor. Wenn die Russen die Vorschläge zurückweisen, wird es heißen: „Sehen Sie, die Russen wiesen die Friedensangebote der Amerikaner zurück“…

Jeanson wird auf offener Straße geohrfeigt und schreit: „Sie wagen es, einen Feigling zu schlagen!“

Das Elend der Woche vor der Abreise. Ich bin schon nicht mehr in Santo Sospir. Ich bin noch nicht in Paris. Ich drehe mich im Kreise. Ich leide unter einer Leere.

Heute Sommersonne. Francine und Doudou gehen baden.

Habe mit dem Doktor, hoffentlich zum letzten Mal, eine Aufnahme vom Hibiskus wiederholt, in drei Einstellungen, wodurch genug Zeit für den Trick, ohne die Eile, zu der uns das Federgetriebe zwingt. 1. Ich stecke den Stempel hinein (Großaufnahme). 2. Ich setze die Blütenblätter ein (Nahaufnahme). 3. Ich bringe die zerrissenen Blütenblätter in Ordnung (Großaufnahme).

Das Ganze an Cox geschickt.

Édouard Dermit. Mit meinem Portrait erweist er sich allen Malern seiner Generation überlegen. Ich frage mich, woher er dieses malerische Wissen nimmt, durch das sich sein Edelmut, seine seelische Lauterkeit ausdrückt. Die Leute hassen es, zu loben. Aber wenn ich sie vor ein Bild von Dermit führe, zeigt sich Verblüffung auf ihren Gesichtern. (Und selbst Enttäuschung, weil ihnen nichts Negatives einfällt.) Sie werden schlecht darüber reden. Nur müssen sie erst überlegen, bis sie auf die Einwände kommen die ihrem Widerstand gegen das Schöne entsprechen. Auf Anhieb fallen sie ihnen nicht ein.

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Die Russen begegnen der amerikanischen Friedensoffensive, indem sie sie als Erklärungen „hysterischer Gentlemen“ bezeichnen…

Ein recht guter Artikel von Thierry Maulnier über die Vereinten Nationen und über die seltsamen Gebäude, die man für sie im Garten des Trocadéro errichtet hat, während unsere nationalen Paläste verfallen.

Was kann man in dieser großen Krise der Unordnung ausrichten? Nichts. Sich selbst in Ordnung bringen. Sich für ein Element dieser Unordnung zu entscheiden, hieße, sein eigenes Gleichgewicht aufzugeben, um ein künstliches zu gewinnen…

Gérard hat sich bei den Dreharbeiten zu Fanfan der Husar schon wieder eine Rippe gebrochen…

Es regnet.

Was man in einem Haus, sogar in einem Zimmer in acht Monaten anhäuft, ist unglaublich. Drei Tage bleiben mir noch zum Aufräumen, Ordnen, Abschicken.

Arbeit. Ich akzeptiere den Tod. Ich lehne es ab, zu leben und tot zu sein. Nach meinem Tod muß all diese Arbeit an meiner statt leben. Deshalb muß sie von robuster Gesundheit sein. Widerstandsfähige Organe haben. Das ist der Grund, weshalb uns die Arbeit verzehrt, auffrißt. Sie will, daß wir verschwinden. Die Undankbarkeit von Kindern, fast die von Tieren. Schon macht sich unsere Arbeit im Ausland von uns unabhängig und kümmert sich nicht mehr um uns. Sie entzieht sich unserer Kontrolle.

Ich frage mich, wie die Intelligenz eines Volkes das Radio aushält. Übrigens hält sie es nicht aus. Wie aus einem Wasserhahn rinnen aus dem Radio die Torheiten. Nur Sportreportagen höre ich gern. Die Schnelligkeit und Genauigkeit der Sprecher. Torheit ist ihnen nicht erlaubt. Die steckt nur darin, daß Männer hinter einem Ball herlaufen und die ganze Welt sich dafür begeistert.

Rimbaud erscheint auf Briefmarken.

Der Altmeister verfasst sein Tagebuch von 1951 bis zu seinem Todesjahr, 1963. In ihm wechseln sich allgemeine, kritische Reflexionen und private Lebensereignisse ab – dies macht das Buch zu einem spannenden, sehr subjektiven Spiegel seiner Zeit.

 „Gute Erziehung besteht darin, zu verbergen, wie sehr man sich selbst schätzt und wie wenig die anderen“ – kokettiert Cocteau in einem seiner Aphorismen mit der Tugend der Bescheidenheit. Ein Ideal, dem er in seinem Tagebuch mit eher wechselndem Erfolg gerecht wird, was aber dem Genuss seiner treffsicheren und gleichzeitig poetisch-ästhetischen Aufzeichnungen keinen Abbruch tut.

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Die Zitate entstammen folgender Ausgabe:

Jean Cocteau; Vollendete Vergangenheit; Deutsche Erstveröffentlichung, aus dem Französischen von Frieda Grafe und Enno Patalas, R.Piper & Co.KG, München 1989

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