Die Muckenkogel-Besteigung
Die Bessere Hälfte und ich verbringen gerade unseren Klosterurlaub im Stift Lilienfeld. Gemäß unserer Abmachung wird vormittags gewandert. Gleich vor unserer Tür erhebt sich der Muckenkogel und bietet sich als erstes Ziel an – ihn wollen wir besteigen. Soweit so naheliegend. Oder vielleicht doch nicht so nahe? Der Muckenkogel befindet sich nämlich auf 1.248 Meter Höhe. Das Kloster liegt auf ca. 400 Meter. Der Wanderweg ist ca. 9 Kilometer lang, was zusammen eine durchschnittliche Steigung von 10% ergibt, eine Bergarithmetik, die für mich wenig verlockend erscheint. Aber mitgefangen mitgehangen – und ein wenig Herausforderung hat noch keinem geschadet.
Für die Bequemeren gibt es auch einen Sessellift, der auf die Bergspitze führt. Wir sind auf dem Weg zu dessen Talstation, wo unsere Wanderung starten soll. Wir fahren natürlich nicht mit dem Auto dorthin, denn 800 Meter sind ein Klacks – wobei ich mir in diesem Augenblick schon vorstellen kann, dass ich für diese zusätzlichen 800 Meter auf dem Rückweg weniger dankbar sein werde.
Mein Mann zeigt sich von seiner feinfühligen Seite. Immer wieder deutet er zuvorkommend auf die Sendestation hoch oben auf dem Berg, „Schau, das ist unser Ziel“. Diese liegt so weit oben, dass ich schon einen Genickbruch bekomme, wenn ich nur zu ihr hochschaue. Wie soll ich es bloß dorthin schaffen? Aber er wird mich schon nicht umbringen wollen, denke ich und gebe mir daher Mühe, ihm sein falsches Spiel, mir Panik einzujagen, zu versauen. „Passt gut“, murmle ich daher scheinbar unbeeindruckt. Er versucht´s immer wieder und wieder. Aber ich spiele mit jeder Runde besser.
Gleich nach der Talstation des Sesselliftes gibt es eine Wegegabelung. Links heißt es, „nur für geübte und schwindelfreie Wanderer“. Wir rechnen. Ich würde mich nicht als übermäßig geübt bezeichnen und schwindelfrei bin ich auch nur begrenzt. Die Bessere Hälfte ist zwar ein geübter Alpinist aber dafür so ziemlich das Gegenteil von schwindelfrei. Somit erfüllen wir 1 von 4 Kriterien. Klar, dass wir trotzdem diesen Weg nehmen! Der Boden ist aber sehr feucht und rutschig und so wird die leichtsinnige Entscheidung zu meiner Erleichterung auch ohne psychischen Druck meinerseits bald revidiert. Nochmal Glück gehabt!
Statt des steilen Pfades gehen wir daher eines sanft steigenden Caterpillar-Weges entlang. Die Vegetation ist unglaublich üppig und wir genießen die Natur, die Blumenpracht, die gute Luft, die schöne Aussicht. Hin und wieder liegen Tannenzweige auf dem Boden und duften so intensiv, dass man am Liebsten „Leise rieselt der Schnee“ singen würde.
Bald erreichen wir die erste Alm. Die Bessere Hälfte vermisst die Kühe. Ich bin aber erleichtert, ihnen nicht zu begegnen – habe ich doch, als Flachlandmensch, einen gesunden Respekt vor ihnen.
Nach der Alm folgt ein Jagdsteig. Hier geht es sehr schnell aufwärts und auf dem feuchten Boden muss man sich so stark konzentrieren, dass keine Zeit für Müdigkeit bleibt.
Anschließend gehen wir durch einen Gatter – und folgen, wie den tiefen gatschigen Spuren zu entnehmen ist, einer Herde, die gerade oben weiden muss. Der Boden ist total durchschwemmt, man muss aufpassen, nicht im Schlamm zu versinken. Die Kühe müssen auch hart gekämpft haben, immer wieder zeugen lange Rutsch-Spuren von ihrer vergeblichen Mühe, den Weg in geordneten Bahnen fortzusetzen. Von wegen glückliche Kühe! Ich hoffe inständig, dass wir ihnen nicht gerade jetzt begegnen werden – sie müssen ja urschlecht gelaunt sein.
Die Wiese, von mir liebevoll „Monsteralm“ getauft, steigt steil an. Für die Füße gibt es kaum Halt, auf Zehenspitzen nähern wir uns dem Berggipfel. Unser mühsamer Aufstieg wird von Grashüpfern begleitet, die scheinbar ziellos um uns herumspringen und deren Sprünge bis zu meiner Hüfte reichen. Muss das sein, diese Demonstration evolutionären Nischenvorteils? Ätzende kleine Angeber. Ich nehme mir vor, nachzulesen, warum und wie ihre alles andere als energiesparende Fortbewegungsart entwickelt wurde.
Oben angekommen sind wir schon auf 860 Meter. Wir sind ziemlich erschöpft, aber bei weitem nicht so erledigt, wie ein Mountainbiker, der sein Gefährt mit letzten Kräften in den Schatten schiebt. Ich mache mir ehrlich Sorgen um ihn und überlege, ihm meine Baseballkappe anzubieten – komme aber zum Schluss, dass sie zwar funktionell sehr attraktiv erscheinen mag, ästhetisch jedoch in seinem gebrauchten Zustand, zumal von einem Fremden, weniger begehrenswert ‚rüberkommen könnte.
Aber wenn wir schon mal den Mountainbiker sehen, frage ich meine Bessere Hälfte, ob es nicht möglich gewesen wäre, den trittsicheren Weg zu nehmen, statt uns die rutschige Wiese hinaufzuquälen. „Ja möglich wäre es schon gewesen“, sagt er verschmitzt – „aber eben keine Herausforderung und weniger Blumen“. Ach so. Wegen den Blumen war´s also. Ich verkneife mir Kommentare zur Streckenführung.
Wir gehen weiter, diesmal aber neben der Alm, auf dem Radweg. Wenig später kommt uns ein freundliches Pärchen entgegen. „Entschuldigt“ sagt der Mann. „Ihr seid losgegangen als wir in den Sessellift gestiegen sind. Und jetzt treffen wir euch hier! Es geht uns zwar nichts an, aber seid ihr wahnsinnig?“
Nun, Lob tut zwar immer gut aber Ehre wem Ehre gebührt. „Ich nicht“, stell ich daher bescheiden richtig und weise mit einer leichten Handbewegung auf meinen Mann. „Nur er hier. Ich folge ihm lediglich“.
Von so viel Anerkennung motiviert durchqueren wir beschwingt die Klosteralpe und bereiten uns seelisch auf die letzten 250 Höhenmeter vor. Hier gibt es schon sehr viel Verkehr – Ausflügler, die mit dem Sessellift hinaufgefahren sind, um oben kleine, feine Runden zu drehen. Sie sind einfach zu erkennen an ihren gestärkten Sonntagsblusen und leichtem Schuhwerk. Vor ihnen kann man sich natürlich keine Blöße geben, also wird munter weitermarschiert.
Jetzt heißt es noch eine kleine Waldstrecke und eine letzte Almwiese zu schaffen, letztere bietet absolute keinen Schatten, sodass ich immer langsamer werde. Aber bald sind wir oben auf der Traisnerhütte, wo uns eine gute Jause erwartet. Erleichtert erblicke ich unter den vielen Mountainbikern unseren alten Bekannten von der Monsterwiese – er trinkt schon sein 2. Bier und scheint die Strapazen überwunden zu haben. Jetzt darf ich meine Baseballkappe definitiv behalten!
Von der Traisnerhütte geht es dann hinüber zum Muckenkogel mit dem berühmten Klösterpunkt, von dem aus 4 Klöster in der Umgebung sichtbar sein sollen. Nun ja, Hinweisschilder auf die Klöster finden wir zwar, aber „sichtbar“ ist wohl ein dehnbarer Begriff, denn man bräuchte Adleraugen, um die Entfernungen zu überwinden. Und da Adler erfahrungsgemäß eher wenig interessiert auf kulturelle Sehenswürdigkeiten reagieren, sind die Hinweise auf die Klöster hier von begrenztem praktischen Wert.
Dafür gibt es aber eine Gedenktafel, die daran erinnert, dass der erste alpine Riesentorlauf in Österreich 1905 von diesem Punkt aus gestartet hat! Ich schaue in die Tiefe, der Nordhang unter dem Muckenkogel fällt 45 Grad steil hinab bis hin zur Kolmwiese. Definitiv nicht die Piste, die ich gerne fahren würde!
Noch dazu wenn man bedenkt, mit welcher Technik und Ausrüstung man damals, um die Jahrhundertwende unterwegs war. Dass die langen Holzskier viel schwieriger zu kontrollieren waren, als unsere wendigen Carvingskis, war mir hinlänglich bekannt. Aber dass man mit einer schwerfälligen Einstocktechnik um die Tore lavieren musste, überrascht mich doch ein wenig.
Dieser Berg ist die Geburtsstätte der alpinen Skitechnik. Der Lilienfelder Skipionier Zdarsky, auf den die hiesigen unheimlich stolz sind, entwickelte hier die erste alpine Schwungtechnik, den sogenannten Vorlagestemmschwung und eine seitenstabile, stark gefederte Stahlsohlenbindung, die den Ski lenkbar und somit das Befahren von Steilhängen erst möglich machte.
Zu seinen Ehren wird in Lilienfeld alljährlich das weltweit einzige Skirennen unter streng historischen Bedingungen veranstaltet – auf unpräparierter Piste, ausgeflaggt mit Haselnussstangen. Gefahren wird mit Lederschnürschuhen und Einstock – wer Lust und Mut hat, kann Mitte März an dieser einzigartigen Veranstaltung teilnehmen.
Nun aber beginnt der Abstieg für uns, der folgende Erkenntnis bringt: Almwiesen sind von oben kommend wesentlich schöner und sympathischer, als beim Aufstieg. Nun kann man ihre Schönheit, die Vielfalt der Blumenpracht und sogar den bukolischen Anblick der ruhenden Herde so richtig genießen.
Der Weg ins Tal hat 3 erinnerungswürdige Bereiche.
Gleich unter der Traisnerhütte eine kurze Strecke, die wohl für lebensmüde Steinböcke konzipiert wurde – ihre Tücken werden noch verschärft durch die vorherrschende Feuchtigkeit. Bald haut es mich auch ordentlich auf – aber der besorgte Blick, mit dem mein Mann mir zu Hilfe kommt, entschädigt mich für die Schmerzen und überzeugt mich vollends davon, dass seiner Streckenführung keine Tötungsabsichten innewohnen.
Weiter unten teilen wir den Pfad mit einem kleinen Fluss, der diesen dermaßen ausgewaschen hat, dass er einen besonderen, nicht gerade eleganten, X-beinigen Gang erfordert – diesen habe ich entwickelt! Ich komme mir wie ein später Pionier des alpinen Abstiegs vor.
Und schließlich gelangen wir auf eine steile, überaus rutschige Strecke, die wie der Zieleinlauf der historischen Riesentorlaufstrecke anmutet – und nur mit ähnlicher Technik bewältigt werden kann – einer Art halbwegs kontrolliertem Rutschen – es fehlt nur noch ein Stock aus unserer Hand.
Aber auch das ist bald geschafft, weiter geht es auf dem sanften Caterpillar weg, der uns sicher zum Parkplatz führt. Unsere Beine fühlen sich wie Pudding an.
Aber da wir nicht mit dem Auto unterwegs sind, müssen noch 800 Meter bis zum Kloster bewältigt werden. Und von dort noch einmal 300 Meter zur Konditorei, wo meine Bessere Hälfte zur Wiederherstellung seiner Kräfte einen Kaffee genießen möchte. Diese hat aber leider zu. Also geht es weitere 800 Meter bis zum „Salettl“ an der Traisen, wo wir uns endlich ein wenig ausruhen können. Inzwischen hat es gute 30 °C und keinen Schatten, meine Motivation für zusätzliche Strecken ist entsprechend begrenzt. Als mein Mann noch vorschlägt, einen Bankomat zu suchen, erkläre ich mich nur mehr zähneknirschend einverstanden. „Und wenn du jetzt noch auf die Idee kommst, ein Küchenstudio auf dem anderen Ende der Ortschaft besuchen zu wollen, trenne ich mich von dir“, baue ich weiteren Eskapaden vor. Er lacht aber bloß und wir schleppen unsere müden Glieder ins Kloster zurück.
Hier bereitet man sich auf das Hohe Fest Mariä Himmelfahrt vor. Aus der Stiftskirche ertönt herrliche Orgelmusik und wir freuen uns auf das abendliche Konzert, der eineinhalb Stunden Musik- und Sitzgenuss verheißt!
Schön war´s. Und wir schmieden schon neue Pläne. Das nächste Mal wollen wir den Muckenkogel mit unseren Mountainbikes bezwingen!
Bergbahn Lilienfeld, ständige Auskunft (Tonband): 02762/52229